Zwischen Schotter und Ziegeln des Alten Leipziger Bahnhofs in Dresden treffen zwei Erzählstränge der Stadt aufeinander: Hier begann einst Sachsens Verkehrsgeschichte, und von hier gingen zwischen 1942 und 1944 Züge in Ghettos und Vernichtungslager ab. Bahnsteige, Gleise und Gebäude sind bis heute erhalten – stumme Zeugen eines Ortes, der in der lokalen Erinnerung lange zu wenig Beachtung fand. Nun soll genau dort eine Gedenk- und Begegnungsstätte entstehen, die den historischen Ort bewahrt und zugleich Perspektiven für die Gegenwart eröffnet.
Von August 2024 bis März 2025 hat ein Team des Förderkreises unter Leitung des Historikers Steffen Heidrich im Auftrag der Stadt ein Konzept erarbeitet. Heidrich forscht seit Jahren zu den Nachwirkungen des Holocausts und zu jüdischen Neuanfängen in DDR und Bundesrepublik; Begegnungen mit Überlebenden und Nachfahren haben ihn geprägt. Ihn treibt die Lücke in der Dresdner Erinnerungskultur an: Während viele westdeutsche Städte kommunal getragene NS-Gedenkorte kennen, fehlt in Dresden bislang ein entsprechender Ort. Erinnerung, so sein Verständnis, ist keine rückwärtsgewandte Pflichtübung, sondern demokratische Grundbildung. Sie stärkt den Widerspruch gegen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Das Konzept sieht zwei komplementäre Bereiche vor, die sich nicht in die Quere kommen: eine verkehrs- und zeithistorische Präsentation, die die Rolle des Bahnhofs auf der ersten deutschen Ferneisenbahnlinie von Leipzig nach Dresden sowie in der NS-Zeit beleuchtet, und einen eigenständigen Gedenkraum, der Gefühlen Platz lässt und zugleich Orientierung für ein konstruktives Lernen bietet. So sollen Besucherinnen und Besucher je nach Anliegen, informieren, innehalten, trauern, diskutieren und auf diese Weise passende Zugänge finden. Die Begegnungsstätte wird darüber hinaus jüdische Gegenwartskultur und die Kultur ehemals verfolgter Gruppen sichtbar machen und als Ort des Austauschs wirken.
Finanziell ist im Best-Case eine mehrsäulige Förderung von rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen; die Realisierung soll schrittweise erfolgen. Nach heutigem Stand könnte die Einrichtung frühestens 2030 ihre Arbeit aufnehmen. Ziel ist ausdrücklich kein ausschließlich „schwerer“ Ort, sondern ein Haus, das Gespräch ermöglicht – auch dann, wenn Ansichten auseinandergehen.
Der historische Bahnhof selbst bleibt dabei der Dreh- und Angelpunkt. Als einer der wenigen erhaltenen Deportationsorte Ostdeutschlands verleiht er dem Vorhaben eine besondere Authentizität. Die Verbindung von Gedenk- und Begegnungsstätte an einem originalen Tatort ist bundesweit einzigartig und folgt einer klaren Idee: aus der Geschichte Orientierung für das eigene Handeln zu gewinnen – für eine gerechtere Gesellschaft, in der Ungleichbehandlung keinen Platz hat.
Foto ©adasp architekten GmbH | Visualisierung: Edgar Bauer 3d concept artist